Der englische Begriff Medical Humanities beschreibt ein interdisziplinäres Feld an der Schnittstelle von Medizin und Geisteswissenschaften. Das Thema der Medical Humanities erfährt in den letzten Jahren neuerlich vermehrt Aufmerksamkeit und hält Einzug in Medizincurricula (Reynolds et al, 1976; McManus, 1995).
Es gilt, den Raum zwischen medizinischen Fakten und individuellem Erleben zu reflektieren. Das Aufwerfen von Fragen bzw. das Konfrontieren mit - unter anderem unangenehmen oder herausfordernden - Themen soll zu Auseinandersetzung und Entwicklung anregen.
Man sucht im inter- bzw. multidisziplinären Ansatz das, was neben faktenbasiertem medizinischen Wissen und Skills notwendig ist, um die PatientInnen sowie deren An- und Zugehörige bestmöglich betreuen zu können. Deren Bedürfnisse rücken auf diese Weise in den Mittelpunkt. Dabei soll man aber auch sich selbst nicht aus den Augen verlieren (Wald et al, 2018). Entwickelt bzw. weiterausgebaut werden sollen Kompetenzen (tacit knowledge), die schwer mess- und beschreibbar sind (Kumagia, 2014).
Als Beispiel aus der Praxis kann die angeleitete Auseinandersetzung mit Kunstwerken genannt werden, um die für eine klinische Tätigkeit eminente Beobachtungsfähigkeit (visual literacy) zu trainieren (Bardes et al, 2001; Naghshineh et al, 2008). Zielt man auf das Erfassen des Menschen an sich, so stellt die Literatur einen möglichen Zugang dar. Geschichten zu hören, zu lesen oder zu erfassen wird gerade im medizinischen Setting als wertvoll und zielführend angesehen (narrative competence). Medical comics als hybride und sequentielle Kunstform vereinen vereinfacht gesprochen, Literatur und Bild – diese ergänzen sich gegenseitig. Dabei bleibt Raum für die Betrachtenden, um aus dem Context die Geschichte oder Botschaft zu erschließen. Die Betrachtenden haben die Möglichkeit sich aktiv einzubringen, können dies jedoch in individueller Geschwindigkeit tun (Pratt, 2009). „We don’t need doctors to be painters or poets or dancers, but we do need them to be observant, articulate and comfortable with the human body.“ (Green et al, 2016, S. 483)
Comics funktionieren wie ein Diagnoseprozess, man muss Lücken zwischen Informationseinheiten bedenken und ein Gesamtes schlussfolgern - im Fachterminus der Comics als closure bezeichnet. Nur ein Teil der Geschichte wird durch Bilder oder Worte vermittelt, der Betrachtende muss die nicht gezeigten Inhalte aktiv durch Beobachtung und/oder Imagination ergänzen. Durch den Einsatz von (auto)biografischen Comics können sich im medizinischen Bereich tätige Personen, aber natürlich auch Studierende, mit dem Erleben der PatientInnen und deren An- und Zugehörigen auseinandersetzen (z. B. Hospice comics: Czerwiec et al, 2017). Insbesondere im Medizinstudium (undergraduate medical education) kann man das den Comics inhärente Potential nutzen: z.B. die Selbstreflexion anstoßen, für Kommunikation sensibilisieren, die Beobachtungsgabe fördern (Green et al, 2010). Als übergeordnetes Ziel wird dabei unter anderem immer wieder die Auseinandersetzung mit und die Thematisierung von Empathie, Emotion, Kreativität und einem möglichen Perspektivenwechsel genannt (Czerwiec et al, 2017; Green et al, 2016; Lippell, 2002).
„Medicine, if we‘re doing it right, involves emotions. If it doesn’t, there’s probably something wrong with how we’re practicing.“ (Glazer; 2015, S. 16)